Marcelo Lusardi

«Ich habe im Alter von 11 Jahren mit dem Skaten angefangen. Ich war damals aber kein verbissener Skater, sondern hängte einfach gerne auf der Plaza rum mit meinen Freunden. Wir skateten, redeten, ich spielte Gitarre – was man halt so macht als Teenager. Mit 18 erhielt ich eine niederschmetternde Diagnose. Der Arzt teilte mir mit, dass ich an Leberscher Optikusatrophie leide, eine seltene Erbkrankheit, die innert relativ kurzer Zeit zur totalen Erblindung führt. Das stellte mein Leben auf den Kopf.

Vor 5 Jahren ging es los, zuerst beim einen Auge, fünf Monate später auch beim anderen. Mich machte das total fertig – ich kannte keine einzige blinde Person und hatte keine Idee, wie mein Leben als Blinder aussehen würde. Irgendwann lernte ich aber eine Frau kennen, die mir zeigte, dass man auch als blinder Mensch ein glückliches, erfülltes Leben führen kann. Das hat mich motiviert. Durch diese Begegnung lernte ich, mit meinem Schicksal besser umzugehen.

Ich hing weiterhin an der Plaza rum, anfangs konnte ich auch noch skaten. Je schlechter die Augen wurden, desto mehr orientierte ich mich dabei an den Geräuschen: Auf der einen Seite des Platzes war ein Spielplatz, auf der anderen Seite hörte ich meine Freunde an einem Mäuerchen skaten. Auch als Blinder weiterhin skaten zu können gab mir Motivation und eine klare Aufgabe. Ich kannte damals niemanden, der das tat. Mit der Hilfe meiner Freunde lernte ich neue Tricks. Meinen ersten Drop-in in eine Rampe machte ich blind. Ziemlich crazy war auch, als ich zum ersten Mal von einer Mauer runtersprang. Mein Freund rief einfach «Jetzt!» und ich sprang ins Leere. Das funktionierte immer besser, sogar bei Treppenstufen. Irgendwann machten meine Freunde und ich einen Ausflug in eine andere Stadt. Die Skater dort waren total begeistert, als ich eine kleine Treppe runtersprang. Plötzlich wollten berühmte Skater, die ich nur von Videos her kannte, mit mir posieren und posteten die Bilder auf Instagram. Das war unglaublich und zeigte mir, dass ich mit meinem Skaten viele Menschen inspirieren kann. Ein befreundeter Filmemacher drehte dann eine kleine Doku über mich. The Blind Rider ging ziemlich schnell viral und sogar Tony Hawk repostete ein Skate-Video von mir.

Heute nutze ich oft meinen Blindenstock bei der Anfahrt. Manchmal werfe ich ihn weg, wenn ich abspringe, manchmal behalte ich ihn in der Hand. Mittlerweile habe ich verschiedene Sponsoren und lerne stetig neue Tricks. Zudem bin ich vor kurzem mit meiner Freundin zusammen nach Madrid gezogen.

Leben kann ich vom Skateboarden aber leider noch nicht. Daher arbeite ich tagsüber für eine spanische Blindenorganisation und halte auch Vorträge, um anderen Menschen mit meiner Geschichte zu helfen.

Meine Blindheit hat sicherlich auch die Art und Weise verändert, wie
ich andere Menschen wahrnehme. Ich fasse den Leuten nicht ins Gesicht wie es manche andere Blinde tun. Aber ich lasse mich viel mehr auf den Charakter anderer Leute ein, man achtet erzwungenermassen nicht mehr auf Äusserlichkeiten. Ausserdem freue ich mich viel mehr aufs Schlafen als früher. In meinen Träumen sehe ich nämlich immer noch!»

Folge Marcelo: @the_blind_rider