Depressive sind extrem traurige Menschen, die sich einfach nicht zusammenreissen können? Um mit solchen und anderen Vorurteilen aufzuräumen, ­haben wir uns mit einer Betroffenen unterhalten.

Wie hast du gemerkt, dass du an einer Depression leidest?
Seraina: Lange Zeit gar nicht. Ich bin zwar als Jugendliche immer Mal wieder in «Emophasen» abgetaucht, hatte über Wochen hinweg keinen Bock Freunde zu treffen, habe nur düstere Musik gehört und extrem an mir selbst gezweifelt. Letztlich habe ich diese Phasen aber einfach als Erscheinung der Pubertät abgebucht.

Und wann kam der Wendepunkt?
Als ich mit zwanzig einen Freund hatte und sich jede Form von Nähe wie ein inszeniertes Schauspiel anfühlte. Innen drin war ich kalt, leer und total emotionslos, obwohl ich extrem glücklich hätte sein müssen, denn er war grossartig! Da wurde mir klar, dass etwas nicht stimmen konnte. 

Kann man sich denn in solchen Momenten nicht einfach zusammenreissen – Sport machen oder mit Freunden ­feiern?
Nein, ablenken nützt nichts. Glücklicherweise musste ich mir solche gut gemeinten Ratschläge nicht oft anhören. Eine Depression ist nun mal eine Krankheit und keine Form von schlechter Laune oder intensiver Traurigkeit. Im Gegenteil: Man empfindet rein gar nichts. Ausser vielleicht Angst. 

Und was hast du dagegen unternommen?
Am Anfang habe ich mich zugekifft, weil ich etwas spüren wollte. Das Gras hat in mir zumindest vorübergehend euphorische Regungen ausgelöst. Dass Kiffen jedoch keine längerfristige Lösung sein kann, war mir klar. Nachdem ich dann während einem Monat kaum mehr aus meinem WG-Zimmer rausgekommen bin, die Uni links liegen liess und selbst Wäsche waschen oder einkaufen zur unüberwindbaren Tortur wurde, suchte ich einen Therapeuten auf. 

Der hat dir dann «Glückspillen» verschrieben?
Genau, neben einer intensiven, ­regelmässigen Gesprächstherapie bekam ich ein Antidepressivum verschrieben, das bei mir glücklicherweise bereits nach zwei ­Wochen Wirkung zeigte. Viele ­Depressive müssen unzählige ­Medikamente ausprobieren und mit der Dosierung rumexperimentieren, bis sich endlich die gewünschte ­Stabilität einstellt.

Und mit den Medis lief dann alles ­wieder wie geritzt?
Ich habe zumindest wieder Boden unter meine Füsse gekriegt. Das ewige Gedankenkreisen hatte ein Ende, ich konnte wieder schlafen und fühlte mich wertvoll und energiegeladen.

Hatten die Antidepressiva auch Nebenwirkungen?
Ja. Ich habe sieben Kilo zugenommen und meine Libido hat sich quasi in Luft aufgelöst. Die Medikamente haben aber keinen anderen Menschen aus mir gemacht. 

Sex fühlt sich also jetzt schlecht an?
Schlecht würde ich nicht sagen. Allerdings gehe ich eher mit jemandem ins Bett, weil ich Nähe suche, als weil ich extrem geil wäre. 

Kannst du überhaupt glücklich sein?
Glück ist ein variabler Begriff. Ich bin einfach unglaublich dankbar, so viele gute Menschen um mich herum zu haben. Eine Familie, die mich auffängt und Freunde, mit denen ich über alles reden kann. Das bedeutet für mich Glück. Ausserdem bin ich nicht permanent schlecht drauf. Die Depression ist zwar da und begleitet mich wie ein Schatten durch den Alltag. Sie überkommt mich manchmal an der Migroskasse, im Vorlesungssaal oder beim Smalltalk mit Nachbarn. Aber es gibt viele Momente, in denen ich unglaublichen Spass habe, Party feiere und total witzig bin. 

Was ist für dich das Schlimmste an der Depression?
Dass man in gewissen Momenten fürs eigene Umfeld zur Belastung wird. Zu einem heulenden Elend, um das man sich kümmern muss. Das fühlt sich unglaublich beschissen an. Vor allem weil man sieht, wie viele Freunde hilflos und ohnmächtig reagieren, obwohl sie dir gerne helfen würden. 

Was würdest du Menschen empfehlen, die an einer Depression leiden?

Schämt euch nicht und redet darüber!

Seraina (23) ist Germanistikstudentin und lebt in Zürich.